Behandlungen bei Multiple Sklerose
Immunmodulatorische Stufentherapie
der Multiplen Sklerose
Die immunmodulatorische Behandlung der
Multiplen Sklerose hat in den letzten Jahren durch die positiven Ergebnisse
mehrerer großer Multicenterstudien einen wichtigen Durchbruch erlebt.
So konnte für verschiedene Substanzen gezeigt werden, daß neben
einer Reduktion der Schubzahl auch die Progression der Erkrankung beeinflußbar
ist. Um die Umsetzung der aus diesen Studien gewonnenen Erkenntnisse in
die tägliche Praxis zu verbessern, wurde zunächst für den
deutschsprachigen Bereich Europas eine Bestandsaufnahme der aktuellen Behandlungsmöglichkeiten
im Rahmen einer internationalen Konsensgruppe erstellt.
Kortikosteroidbehandlung
des akuten Schubs
Die Therapie des akuten MS-Schubs mit Kortikosteroiden
ist als etablierter Standard anzusehen. Die Wirkung der Kortikosteroide auf
den MS-Schub wird unter anderem durch die Suppression der Entzündungsreaktion,
Verringerung des entzündlich bedingten Ödems und Restauration der
Blut-Hirn-Schranke erklärt. Die Blockade der Freisetzung proinflammatorischer
Zytokine scheint ebenfalls sehr wichtig zu sein. Aus pharmakologischen Gründen
werden meist Methylprednisolon und Dexamethason eingesetzt. Im deutschsprachigen
Raum hat sich die intravenöse Hochdosisbehandlung als therapeutischer
Standard durchgesetzt.: Die Tagesdosis von 1g Methylprednisolon wird meist
morgens als Einzeldosis in einer Kurzinfusion an mindestens drei aufeinander
folgenden Tagen gegeben. Sie kann sich im Individualfall bis auf maximal
7-10 Tage ausdehnen. Als mögliche Alternative kann auch die orale Hochdosistherapie
mit 500mg Methylprednisolon einmal täglich über 5 Tage mit anschließendem
Ausschleichen über 10 Tage angesehen werden. ( Eine prophylaktische
Langzeittherapie mit niedrig dosierten oralen Kortikosteroiden ist wegen
der zu erwartenden Nebenwirkungen absolut nicht empfehlenswert.
Interferon-beta 1b und Interferon-beta 1a
Beta-Interferone wurden bereits seit den
70er Jahren in verschiedenen Studien zur Behandlung von Multipler Sklerose
eingesetzt. Doch erst die Möglichkeit, diese körpereigene Substanz
gentechnologisch in größerem Umfang in reiner Form herzustellen,
ermöglichte die Durchführung von großen klinischen Studien.
Die Wirksamkeit beruht hauptsächlich auf der Induktion bestimmter immunmodulatorischer
Zytokine, auf der Hemmung der T-Zellproliferation, auf der Hemmung der Produktion
proinflammatorischer Zytokine, auf der Steigerung der T-Suppressorzellaktivität
sowie auf der verminderten Blut-Hirn-Schranken-Permeabilität. Die Zulassung
wurde für die subkutane Gabe von IFN ß-1b (Betaferon) 8 Mio.
Einheiten jeden zweiten Tag , für die intramuskuläre Gabe von
IFN ß-1a (Avonex) in der Dosierung von 6 Mio. Einheiten einmal pro
Woche und für die subkutane Gabe von IFN ß-1a (Rebif) in der
Dosierung von 3x6 Mio. Einheiten pro Woche ausgesprochen. Nach bisher vorliegenden
Erkenntnissen bestehen keine grundsätzlichen qualitativen Unterschiede
der immunmodulatorischen Effekte von IFN ß-1a und IFN ß-1b.
In allen drei publizierten Studien wurden Patienten mit schubförmigem
Krankheitsverlauf eingeschlossen und als wesentliche Effektivitätsparameter
wurden die Schubfrequenz, die bestätigte Krankheitsprogression gemessen
an der EDSS und die Veränderung der kernspintomographischen Läsionen
untersucht. Für alle drei Präparate konnte eine signifikante Reduktion
der Schubfrequenz und kernspintomographischen Krankheitsaktivität demonstriert
werden. Für Avonex und Rebif konnte zusätzlich ein signifikanter
Einfluß auf die Krankheitsprogression nachgewiesen werden. Bei allen
drei Substanzen ist mit grippeähnlichen Nebenwirkungen besonders in
der Anfangsphase der Behandlung zu rechnen. Veränderungen des Blutbildes
und der Leberwerte können auftreten. Bei den subkutan applizierten
Beta-Interferonen (Betaferon und Rebif) konnten darüber hinaus lokale
Reizerscheinungen und im Einzelfall Nekrosen beobachtet werden. Insgesamt
können die Nebenwirkungen aber durch die Gabe nichtsteroidaler Antiphlogistika,
Kühlung der Injektionsstellen und Modifikation des Injektionszeitpunktes
in der Regel kontrolliert werden. Die mögliche Entwicklung von neutralisierenden
Antikörpern kann nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen noch nicht
sicher eingeschätzt werden. In der ersten abgeschlossenen Studie zur
Wirksamkeit von Beta-Interferonen bei der sekundär progredienten Verlaufsform
der Multiplen Sklerose konnte ein eindeutig positiver Effekt unter der Behandlung
mit Betaferon 8 Mio. Einheiten jeden zweiten Tag subkutan festgestellt werden.
Für die beiden anderen Beta-Interferone liegen noch keine Testergebnisse
vor.
Glatirameracetat / Copolymer-1
Bei dieser unter dem Namen Copaxone geführten
Substanz handelt es sich um ein synthetisches Polypeptid aus den L-Aminosäuren,
Glutaminsäure, Lysin, Alanin und Tyrosin (GLAT). Es war ursprünglich
entwickelt worden, um als immunologisches Analog zum basischen Myelinprotein
(MBP) experimentell eingesetzt zu werden. Zur Behandlung der schubförmigen
Verlaufsform der MS wird Copaxone täglich subkutan appliziert und vergleichsweise
gut vertragen. Bezüglich der Schubreduktion wurde ein ähnlich
großer Effekt wie unter den Beta-Interferonen beobachtet. Glatirameracetat
stellt damit eine Alternative zur immunprophylaktischen Therapie bei Unverträglichkeit
der Beta-Interferon-Behandlung oder geringerer Behinderung dar und steht
in der Reihe der Medikamente für die prophylaktische immunmodulatorische
Basistherpie.
Intravenöse Immunglobuline
Die therapeutische Wirksamkeit von intravenös
verabreichten Immunglobulinen (IVIg) ist bei verschiedenen immunvermittelten
neurologischen Erkrankungen belegt. Als möglicher Wirkmechanismus werden
bei der Multiplen Sklerose komplexe Eigenschaften wie Neutralisierung von
Zytokinen, Blockade von bestimmten Rezeptoren und Effekte antiidiotypischer
Antikörper diskutiert In einer größeren Studie konnte eine
deutliche Schubreduktion nachgewiesen werden, Hinweise für eine Beeinflussung
der Krankheitsprogression ergeben sich mit Einschränkungen. Eine optimale
Dosierung der verschiedenen Immunglobulinpräparate konnte bis jetzt
noch nicht festgelegt werden.
Azathioprin
Das u. a .unter dem Namen Imurek bekannte
Medikament ist ein Purinanalog, welches im Organismus zu 6-Mercaptopurin
und Methylnitroimidazol metabolisiert wird. Beide Komponenten sollen immunsuppressiv
wirken. In der Therapie der Multiplen Sklerose ist ein breites und langjähriges
Erfahrungswissen über Azathioprin vorhanden. Es hat einen günstigen
Effekt auf die Schubfrequenz und ist in einer Dosierung von 2-3mg/kg Körpergewicht
als Basistherapie beim schubförmigen Verlauf der Multiplen Sklerose
möglich. Patienten, die bereits mit Azathioprin behandelt werden und
einen stabilen Krankheitsverlauf zeigen, können aufgrund der neuen Erkenntnisse
zur Langzeitsicherheit dieses Präparat unter ein- bis zweimonatiger Kontrolle
des Blutbildes die Therapie für ca. 10 Jahre weiter fortführen.
Mit einem verzögerten Wirkungseintritt von mindestens 2-5 Monaten nach
Beginn der Medikation muß gerechnet werden.
Mitoxantron
Diese Substanz, auch als Novantrone bekannt,
wurde Ende der 70er Jahre als wirksames Chemotherapeutikum bei einer Reihe
von bösartigen Erkrankungen entwickelt. Anfang der 80er Jahre wurde
dann gezeigt, daß Mitoxantron auch immunsuppressiv bzw. immunmodulatorisch
aktiv ist. Mitoxantron reduziert signifikant die Schubzahl und es wirkt sich
positiv auf die Krankheitsprogression aus. Es muß als ein sehr effektives
Medikament in der Behandlung der Multiplen Sklerose angesehen werden, welches
aber aufgrund seiner kumulativen Höchstdosis in Abhängigkeit von
den verwandten Einzeldosen und Applikationsintervallen nur etwa 24-36 Monate
zur Behandlung eingesetzt werden kann. Der Einsatz diese Medikamentes sollte
nach sorgfältiger Abwägung der Indikation in erster Linie bei Patienten
mit hochfrequentem schubförmigen Verlauf und schlechter Remissionstendenz
bzw. Therapieversagen eines Beta-Interferon-Präparates sowie bei sekundär-progredientem
Verlauf mit rascher Progression durchgeführt werden. Die Behandlung
sollte immer in Kooperation mit einem MS-Zentrum unter engmaschiger Kontrolle
des Blutbildes sowie der Leber -und Nierenfunktionswerte erfolgen.
Cyclophosphamid
Cyclophosphamid ist eine Substanz aus der
Gruppe der Stickstoff-Lost-Verbindungen. Es besitzt eine allgemein immunsupprimierende
Wirkung, die vermutlich in erster Linie durch zytotoxische Effekte auf sich
rasch teilende Zellen bedingt ist. Zur Therapie der Multiplen Sklerose mit
Cyclophosphamid liegen mehrere Studien bei sekundär chronisch progredientem
und primär progredientem Krankheitsverlauf vor.
Bei diesen Studien kann keine eindeutige
Überlegenheit eines bestimmten Therapieschemas mit Cyclophosphamid
empfohlen werden. Die Wirksamkeit bei MS ist nicht eindeutig belegt. Die
Behandlung kann als Eskalation im Rahmen der immunmodulatorischen Stufentherapie
bei Versagen anderer Therapiemaßnahmen angesehen werden. Wegen der
zum Teil erheblichen Nebenwirkungen der hohen Einmaldosis werden alternative
Applikationsformen mit z.B. 3mal täglichen Einzeldosen empfohlen. Entscheidend
für die Durchführung dieser Therapie scheint es aber zu sein, daß
sie in Abständen von 4 bis 6 Wochen mit einer Dosierung um 600mg/qm
Körperoberfläche durchgeführt wird.
Methotrexat
Diese bei einer Reihe von Autoimmunerkrankungen,
besonders der rheumatoiden Arthritis, erfolgreich eingesetzte Medikament
hemmt u.a. die Teilung rasch proliferierender Zellen wie z. B. Lymphozyten.
Zum jetzigen Zeitpunkt kann keine allgemeine Empfehlung für den Einsatz
von Methotrexat bei der Multiplen Sklerose gegeben werden, insbesondere angesichts
der marginalen Therapieeffekte mit Dosierungen, wie sie in der Rheumatherapie
therapeutisch eingesetzt werden. Im Einzelfall kann jedoch bei Versagen
andere Therapiemaßnahmen ein Behandlungsversuch bei Patienten zur
Stabilisierung der Koordinatiosfunktionen angebracht sein. Bei rasch progredientem
Krankheitsverlauf sollte zunächst Mitoxantron gewählt werden.
Weitere immun-prophylaktische Therapien
Für den Einsatz anderer Substanzen
in der immunprophylaktischen Behandlung der Multiplen Sklerose wie z. B.
Cladribin, Cyclosporin A, Linomid, 15- Deoxyspergualin, orales Myelin, Plasmaphorese,
Stammzelltransplantation, Enzymtherapie oder Phosphodiesterase-Inhibitoren
wie Pentoxyfillin gibt es anhand der vorliegenden Studienergebnisse keine
hinreichenden positiven Ergebnisse oder Behandlungserfahrungen, die derzeit
einen Einsatz bei der Multiplen Sklerose rechtfertigen. Sie werden zum Teil
weiter untersucht und in einer späteren Bestandsaufnahme bewertet.
Gegenwärtig sind drei Beta-Interferone im Handel
Rebif ( Beta-Iterferon - 1a ) hat zwei
Wirkstärken von sechs und zwölf Millionen Einheiten ( = 22 oder
44 Mikrogramm ) und wird dreimal pro Woche unter
die Haut gespritzt.
Avonex ( Beta-Interferon-1a ) wird in
einer Menge von acht Millionen Einheiten ( = 30 Mikrogramm )einmal pro Woche in einen Muskel
( itramuskulär ) gespritzt.
Betaferon ( Beta-Interferon - 1b ) wird
in einer Menge von acht Millionen Einheiten ( = 250 Mikrogramm )jeden zweiten Tag unter die Haut
( subkutan ) gespritzt.
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